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Kristina Ericson (© Copyright):

ZumTode von Bernhard Sauter

Abdankung in Windisch, November 1997


Für Bernhard


Die beiden Esel

Ein finstrer Esel sprach einmal
zu seinem ehlichen Gemahl

"Ich bin so dumm, du bist so dumm,
wir wollen sterben gehen, kumm!"

Doch wie es kommt so öfter eben:
Die beiden blieben fröhlich leben.

(Christian Morgenstern, Galgenlieder)


Bernhard gehörte nicht zu dieser Art Mensch, die Christian Morgenstern in seinem Gedicht, einem seiner Galgenlieder, schildert, versteckt in der Gestalt eines Tieres. Er war nicht finster, weit entfernt von dumm, und "fröhlich leben bleiben" durfte er auch nicht. Und doch hat ihn die selbstironische Lebensweisheit von Morgensterns Galgenliedern, dieses Verfremden des " ... und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute..." bis in seine letzten Tage begleitet. Bis zuletzt blätterte er in diesen Zeilen, machte Skizzen, plante einen Zyklus mit Hinterglasbildern zu diesem Thema.

Diese Galgenlieder und die daraus sprechende Lebensauffassung, dieses Spiel im Spiel, mit dem Spiel, diese Leichtigkeit des Seins in der nur zu bewussten Schwere der menschlichen Existenz, nur zu bewussten Zwiespalt menschlichen Zauderns und Zagens haben Bernhard in ganz verschiedenen Situationen immer wieder begleitet.


Bundeslied der Galgenbrüder

O schauerliche Lebenswirrn,
wir hängen hier am roten Zwirn!
Die Unke unkt, die Spinne spinnt,
und schiefe Scheitel kämmt der Wind.

O Greule, Greule, wüste Greule!
"Du bist verflucht!" so sagt die Eule.
Der Sterne Licht am Mond zerbricht.
Doch dich zerbrachs noch immer nicht.

O Greule, Greule wüste Greule!
Hört ihr den Huf der Silbergäule?
Es schreit der Kauz: pardauz! pardauz!
da tauts, da grauts, da brauts, da blauts!

(Christian Morgenstern, (Galgenlieder)


Wie war das nun mit dem "fröhlich leben bleiben"? Die Bilder aus Bernhards letzten Jahren und ganz besonders aus seinem allerletzten Lebensjahr strotzen nur so vor praller Farbensinnlichkeit, vor kraftvoller Fröhlichkeit und frechem Humor.

"Mich faszinieren die Farben, wie sie aus der Tube kommen: rein und ehrlich, unverändert, unverfälscht." (Bernhard)

Und so sind auch diese Bilder. Für Schattierungen blieb keine Zeit. Nein, das Jetzt und Hier mit seinem nimmermüden Ideenreichtum wollte umgesetzt sein, voller direkter Buntheit - und so voller Symbolik. Eine Symbolik, die tiefer wohl nicht gründen kann: Hände strecken sich zum Himmel empor, Augen schauen hinter Schleier und Versteck hervor, die Sense steht mit wenigen, klaren Strichen zwischen rot und blau, ein Fenster öffnet sich zu ziehenden Wolken, der Totenkopf erhebt sich aus gelb und grün, die Uhr ist ohne Zeiger, der Galgen prangt.


Solis hora proxima mors est

Die nächste Stunde der Sonne ist (könnte) der (dein) Tod (sein)


Auch dieser Spruch fliesst ins bildnerische Schaffen ein. Ein Wegbegleiter aus vielen Aufenthalten in Aranno/TI, wo diese Weisheit eine alte Sonnenuhr ziert.

Ja, diese Aufenthalte nah und fern, wo Bernhard neue Eindrücke nur so aufsog und für immer speicherte - Paris, London, Gordoba, Genua, Amsterdam, Wien, Thailand, China, Tunesien...

Angefangen hat alles in Schaffhausen. Dort wurde Bernhard 1941 geboren. Die Lehre als Bauzeichner entsprach der Wahl eines "Vernunftberufs", denn der Wunsch und die Absicht, Maler zu werden, hatten sich schon früh herauskristallisiert. Bereits während seiner Lehre besass er ein Atelier in der Schaffhauser Altstadt. Es stand für ihn stets im Vordergrund, neben der Berufsausübung so viel Zeit wie möglich dem Malen widmen zu können.

Freiheitsliebend und entdeckungshungrig wie Bernhard schon immer war, war ihm die Arbeitsatmosphäre in einem Architekturbüro, wo er über längere Zeit für Bauführungen zuständig war, bald zu eng. Über einen Architekten, der für die Filmbranche tätig war, eröffnete sich ihm schliesslich eine neue Welt. Ursprünglich als Assistent vorgesehen, sah sich Bernhard plötzlich vor die Aufgabe gestellt, in seiner ersten Filmarbeit - ein Film von Kurt Gloor - die alleinige Verantwortung für die Ausstattung zu übernehmen. Es folgten spannende Jahre beim Film, Ausstattungen für schweizerische und deutsche Produktionen wurden ihm übertragen, wozu auch Fernseharbeiten gehörten, etwa eine 13teilige Serie in schweizerischdeutsch-französicher Co-Produktion.

Diese Zeit brachte Bernhard nicht nur vielfältige menschliche Begegnungen, sondern auch Einblicke in Milieus äusserst kontrastreicher Natur, wie Klöster, Gefängnisse. Aber auch Landschaften hinterliessen prägende Eindrücke, wie etwa die Bretagne, wo er trotz der Beanspruchung durch die Filmarbeit viele Inspirationen für die Malerei in sich aufnehmen konnte. Ein weiterer Vorteil seiner Filmengagements war nämlich der Umstand, dass er stets pro Film angestellt wurde und dazwischen gänzlich frei war, seiner künstlerischen Tätigkeit nachzugehen.

In dieser Zeit eignete er sich immer neue Techniken an, durchforschte Unmengen von Fachbüchern und versuchte doch immer, seinem obersten Prinzip treu zu bleiben: nämlich das künstlerische Wirken stets als ein Lernen aus dem Beobachten, dem geduldigen, aber auch lustvollen Zuschauen - etwa der Arbeit eines Steinmetz' - zu verstehen, als ein von nie nachlassender Neugier geprägter Weg, dessen Ziel die spielerische Leichtigkeit ist. Bernhard nannte in diesem Zusammenhang das Vorbild Zirkus: die Kunst, mit einem Lächeln das Schwierigste der Welt zu bewältigen und hinter sich zu lassen.

Wertvolle Impulse brachten auch Atelieraufenthalte im Zusammenhang mit Stipendien in Genua und Paris.

Seit 1986 war Bernhard freischaffend. Schaffend, staunend, geniessend, lesend, kommentierend, schauend. Immer wieder schauend und fühlend und tastend. Auch schlagend, wenn er in seinem Freiluftatelier einen mit sicherem Gespür ausgewählten Stein bearbeitete, eine Tätigkeit, die ihn in den letzten Jahren faszinierte, die er richtiggehend liebte. Dieses Schlagen war dann formend, Neues herausschälend, freilegend.


17. März 1997

Liebe Kristina

Frühling. Jeden Tag gibt's Neuigkeiten im Garten zu entdecken. Leberblümchen, Osterglocken, schon öffnen sich die ersten Tulpen, im nahen Wald verbreitet sich das junge, zarte Grün. Zur Zeit geniesse ich das strahlende Frühlingswetter, spüre wie die Lebensgeister ihr Aufbauwerk beginnen.

(...) Noch brauche ich viel Zeit und Geduld bis ich mich wieder voll und ganz meiner Arbeit zuwenden kann. Wenn sich die Prognose für die weitere Zukunft auch als ungünstig darstellt, will ich die Sache doch so nehmen wie sie ist. Ein "garantiertes" Leben kann es ohnehin nie geben.

(Bernhard in einem Brief an Kristina Ericson)


Die Natur. Bernhard hat sie immer wieder genaustens beobachtet, Abläufe verfolgt, Stimmungen in sich aufgenommen - und auch Schlussfolgerungen gezogen. Wenn wir über seine Krankheit sprachen, wenn ich meine Verzweiflung ausdrückte, wenn ich ihn fragte, ob sich in ihm nicht manchmal etwas auflehne, vielleicht auch hilflose Wut aufkeime, verwies mich Bernhard auf seine Beobachtungen in der Natur.

"Die Natur ist nicht gut oder böse. Sie unterliegt einem eigenen Kreislauf. Und ich bin ein Teil dieses Kreislaufs." (Bernhard)


Der Zwölf-Elf

Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand:
Da schlägt es Mitternacht im Land.

Es lauscht der Teich mit offnem Mund.
Ganz leise heult der Schluchtenhund.

Die Dommel reckt sich auf im Rohr.
Der Moosfrosch lugt aus seinem Moor.

Der Schneck horcht auf in seinem Haus;
desgleichen die Kartoffelmaus.

Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast
auf einem windgebrochnen Ast.

Sophie, die Maid, hat ein Gesicht:
Das Mondschaf geht zum Hochgericht.

Die Galgenbrüder wehn im Wind.
Im fernen Dorfe schreit ein Kind.

Zwei Maulwürf küssen sich zur Stund
als Neuvermählte auf den Mund.

Hingegen tief im finstern Wald
ein Nachtmahr seine Fäuste ballt:

Dieweil ein später Wanderstrumpf
sich nicht verlief in Teich und Sumpf.

Der Rabe Ralf ruft schaurig: "Kra!
Das End ist da! Das End ist da!"

Der Zwölf-Elf senkt die linke Hand:
Und wieder schläft das ganze Land.

(Christian Morgenstern, Galgenlieder)


Es ist ganz besonders dieses Gedicht von Christian Morgenstern, das sich wie ein roter Faden durch das Leben von Bernhard zog. Es ist eines der Gedichte, die er für seinen geplanten Zyklus mit Hinterglasbildern ausgewählt hatte. An dieses Gedicht erinnert sich auch seine Tochter Manuela ganz besonders: Immer wieder sollten ihr als Kind Bernhard und ihre Mutter Eva dieses Gedicht abends vor dem Zu-Bett-Gehen vorlesen.

Das Leben in der Familie hat Bernhard ungemein bereichert. Er hat daraus Kräfte geschöpft. In den Anfangszeiten hat er auch darum gerungen, hat provoziert, hat gekämpft - und immer wieder gemerkt, dass er erst von diesem Boden aus zu seinen schöpferischen Höhenflügen abheben konnte. Eva war ihm dabei unbeirrt und unermüdlich Stütze und ruhige Gewissheit. In der letzten, so schweren Zeit war es wohl dieser gemeinsam gegangene Weg, der Eva Kraft gab, Bernhard einfühlsam und mit nie versiegender Energie zu begleiten. Manuela und Enkelin Romana waren dabei für Bernhard ein steter Quell unermesslicher Freude.


Es ist so schwer, hier zu stehen. Bernhard schaut nicht zu, mit seinem wachen Blick und all seinen Sinnen. Aber was wissen wir... Ganz sicher schaut er in uns allen.

Dies werden wir uns bewahren.


Was sagte doch Christian Morgenstern über seine Galgenlieder:

"Die Galgenpoesie ist ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht. (...) Ein Galgenbruder ist die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Mensch und Universum. Nichts weiter. Man sieht vom Galgenberg die Welt anders an, und man sieht andre Dinge als Andre."


Der Tanz

Ein Vierviertelschwein und eine Auftakteule
trafen sich im Schatten einer Säule,
die im Geiste ihres Schöpfers stand.
Und zum Spiel der Fiedelbogenpflanze
reichten sich die zwei zum Tanze
Fuss und Hand.

Und auf seinen dreien rosa Beinen
hüpfte das Vierviertelschwein graziös,
und die Auftakteul auf ihrem einen
wiegte rhythmisch ihr Gekrös.
Und der Schatten fiel,
und der Pflanze Spiel
klang verwirrend melodiös.

Doch des Schöpfers Hirn war nicht von Eisen,
und die Säule schwand, wie sie gekommen war,
und so musste denn auch unser Paar
wieder in sein Nichts zurücke reisen.
Einen letzten Strich
tat der Geigerich -
und dann war nichts weiter zu beweisen.

(Christian Morgenstern, Galgenlieder)


Schaffhausen, November 1997, Kristina Ericson


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© Copyright: Bilder + Werke Bernhard Sauter / Fotos + Texte Eva Sauter Lemmenmeier