Logo Bernhard Sauter Bernhard Sauter

Martin Pauli, Kunsthistoriker, Zürich (© Copyright):

Eröffnungsrede zur Ausstellung im Museum zu Allerheiligen

Schaffhausen, 1982


Von über 80 Werken Bernhard Sauters umgeben, fragen Sie sich vielleicht: Wo liegt der Ursprung dieses Schaffens, welches sind die Voraussetzungen für die Entstehung solcher Bilder?

Bei Bernhard Sauter steht an erster Stelle - fast ist es banal - an erster Stelle steht bei ihm die Lust. Die elementare Lust zu malen, die Lust, sich dem aufregenden Abenteuer des Malens im subjektiven Erleben hinzugeben, einzutauchen in ein spannungsvolles Unternehmen, dessen Verlauf ihm unbekannt ist und dessen Ausgang er nur erahnen, nicht aber erkennen kann. Sauter gibt sich den Überraschungen auf der Leinwand hin, ist neugierig auf den Verlauf der Bildwerdung, geniesst den Nervenkitzel und die Konfrontation mit nicht voraussehbaren malerischen Risiken. Der Künstler liebt es, vom Malprozess ausgehende Widerstände zu überwinden, sich dem Zufall hinzugeben, formale und farbliche Probleme zu lösen. Auf neue Situationen, die während des Malaktes entstehen, reagiert er spontan. Er lässt sich leiten von seinem gestalterischen Willen, der ein bestehendes Motiv spielerisch, dank Intuition und Assoziation, durch ein weiteres ergänzt, ohne sich von der steten Ungewissheit nach dem Ende beirren zu lassen. Die Formen werden gleichsam selbsttätig, es fliesst aus ihm heraus, es ergibt sich ein Bildgeschehen.

Der Vorgang das Malens ist spannend, malen, mit Farbe umgehen, heisst für Sauter: völlige Offenheit, fehlendes Programm, absolute Freiheit in seinem Tun. Bilder, die einer solchen Haltung entspringen, reflektieren in ihrer Gestaltung die Motivation des Schöpfers. Sie sind in ihrer Bedeutung frei, und ihre Aussage ist nicht festgelegt, keinem Konzept verpflichtet. Diese Bilder stehen für sich, führen ein Eigenleben, wollen nichts beweisen und sind weder kompositorisch noch thematisch zu fixieren. Sie bergen in ihren undogmatischen Kombinationen von Menschen und Objekten aller Art die Spannung, aus der und mit der sie zur Form geworden sind. Sie wirken spontan, kräftig hingeworfen, spiegeln in bewusst zurückgelassenen Arbeitsspuren die Last des Schöpfers und belegen die Mehrdeutigkeit aller Dinge dieser Welt.

Für Bernhard Sauter sind die Erscheinungen der Welt nicht eindeutig festgelegt, jedes Objekt kann mehr als eine Bedeutung tragen, je nach den Bedingungen, in denen es uns erscheint. Aussagen sind nicht einfach gegeben, sondern sie sind veränderlich. Ein Tisch ist für den Künstler nie nur ein Tisch, ein Haus nie nur ein Haus. Er betrachtet die Erscheinungsform eines Gegenstandes nicht als endgültig im Sinne von "so und nur so ist es". Da er die Wirklichkeit generell in Frage stellt, sieht er die Dinge nicht absolut definiert. Er gibt uns ihr Abbild als eine Variante, als "so kann es sein, aber auch anders". Eine stupende Phantasie, die er aber auch dem Betrachter attestiert, erlaubt ihm und vielleicht auch uns, im dargestellten Tisch noch ganz andere Möglichkeiten zu erkennen, dem angedeuteten Haus mehrere, voneinander abweichende Bedeutungen zuzumessen. Denn Bernhard Sauter erstrebt in seinen Bildern keine Eindeutigkeit der Erscheinung, vielmehr versucht er uns die Vielschichtigkeit das optischen Eindrucks zu beweisen.

Er sieht und malt mehr, als wirklich vorhanden ist, er überhöht und verändert die Realität. Atmosphärische Bedingungen definieren seine Objekte neu. Die Stimmung wird dem Künstler manchmal wichtiger als der Gegenstand. Das Ding wird zum Träger für einen Gehalt, steht als Symbol häufig stellvertretend für etwas anderes. Die atmosphärische Wirkung seiner Kompositionen beruht meist auf differenzierten Farbwerten, auf ungewohnten Verbindungen und Kontrasten, die beim sensiblen Betrachter bestimmte Gefühlsmomente evozieren. Solcherart ist eine allgemein verbindliche Interpretation seiner Werke nicht möglich, sie wäre der Bildwirklichkeit abträglich. Abhängig von der individuellen Disposition des Schauenden, offenbart jedes Bild jedem Betrachter eine andere, nicht identische Aussage. Bernhard Sauter neigt zum Unerklärlichen und Unergründlichen. In seinen Bildern findet sich wiederum das Rätselhafte, das Mystische, das sich einer Definition Entziehende, das Vage. Genauso wie er sich einer eigenen Bildsprache bedient, der kein kunsthistorischer Begriff völlig gerecht wird, setzt er sich in souveräner Weise auch über gewohnte Bildthemen hinweg. Weder der Künstler selbst, noch die Deutungen seiner Werke lassen sich auf gängige, allgemein verbindliche Begriffe zurückführen.

Bernhard Sauter ist Autodidakt. Er liefert all denen den schlagenden Gegenbeweis, die glauben, künstlerisches Artikulieren lasse sich unterdrücken, lasse sich verdrängen von vordergründigen Erfolgen in einer bürgerlichen Karriere. Echt kreatives Bedürfnis bahnt sich, allen Hindernissen trotzend, seinen Weg. Als Bauzeichner ausgebildet, dem Zwang der Realität folgend, bestand schon seit frühester Jugend der ehrliche Wunsch und das wirkliche Bedürfnis, künstlerisch tätig zu sein. Konsequent hat Sauter dieses schwierige Ziel verfolgt und - diese Ausstellung belegt es eingehendst - auch erreicht. Sein Brotberuf als Szenenbildner beim Film erlaubt ihm zwischen zwei Projekten ein phasenweises, sehr intensives Schaffen. Die Vorbereitung und Realisierung von Ausstellungen bilden Unterbrüche im schöpferischen Wirken eines Künstlers. Sie zwingen ihn, sich intensiv und abwägend, ja kritisch, mit seinem Werk, mit sich selbst zu beschäftigen. Diese Beschaulichkeit, die Klarheit und Durchsicht der Dinge bewirkt, lehnt Sauter eigentlich ab, glaubt er doch, sich dadurch in seiner Freiheit und Phantasie einzuschränken. Eine Ausstellung ermöglicht dem Künstler einen Überblick zu bekommen, auch einen Einblick in sein Werk in ungewohnter Umgebung. Er kann Bilanz ziehen. Die Ausstellung bildet einen Unterbruch in seinem Schaffen, worauf sich nachher neue Perspektiven öffnen können. Möglicherweise gelangt Bernhard Sauter in nächster Zeit zu plastischen Darstellungen, bricht aus in die dritte Dimension. Alles ist offen, nichts ist festgelegt, er nimmt sich die Freiheit, die ihm zum Schaffen unabdingbar ist.

Jedenfalls folgt nach dieser Ausstellung eine Zeit, in der Sauter sich der Welt und deren eindeutigen Erscheinungen erneut zukehrt, wo er Impulse aus der Alltagsweit aufnimmt, malend, formend auf optische und akustische Impressionen und subjektive Intuitionen reagiert und so neue Realitäten schafft.

Bernhard Sauters Bilder sollen jedem etwas geben, der sich ernsthaft mit ihnen befasst. Es sind Bilder, die uns die Freiheit lassen, in ihnen das zu sehen, was wir wollen, das zu fühlen, was wir zu fühlen fähig sind. Die uns umgebenden Bilder haben die Bedeutung von Freiräumen, die, erfüllt von vielschichtigen Beziehungen, vom Betrachter erobert sein wollen.


Martin Pauli 15.8.1982


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